November 88`, es ist grau, düster und verregnet. Ich blicke auf eine Afrikakarte und beginne zu träumen. In Gedanken fahre ich mit einem Motorrad durch den südlichen Teil des schwarzen Kontinents. Lautes Gehupe reisst mich aus meinem Traum. Kumpels stehen mit ihren Mofas im Hof, ein Discobesuch steht an. Ich erzähle ihnen von meinen Träumereien und dass ich fest entschlossen sei, sie eines Tages zu verwirklichen. Sie lächeln nur müde und winken ab: "Du spinnst ja!".
November 98`, es ist grau, düster und verregnet. Ich blicke auf eine Afrikakarte und beginne zu träumen. Lautes Gehupe reisst mich aus meinem Traum. Diesmal stehen jedoch keine Kumpels im Hof, sondern ich im Weg eines mit Menschen überfüllten Pickup, schwarze Menschen! Ich bin in Südafrika, genauer gesagt zwischen Johannesburg und Pretoria. So ganz kann ich es noch immer nicht glauben, aber der nunmehr zehn Jahre währende Traum scheint tatsächlich war zu werden. Doch das Wetter am Anfang meiner knapp 20.000 km langen Reise ist wie erwähnt alles andere als traumhaft. Erst bei Lydenburg, etwa 200 km östlich von Joburg, reisst die Wolkendecke auf und das strahlende Blau des afrikanischen Himmels gewinnt immer mehr die Oberhand. Das Abenteuer "Südliches Afrika" kann beginnen.
Und das erste richtige Highlight lässt nicht lange auf sich warten. Begeistert stehe ich am Abgrund des 32 km langen und bis 800 m tiefen Blyde River Canyon. Auf der gegenüberliegenden Seite thronen die "Three Rondavels", eine Felsformation, die an traditionelle afrikanische Rundhütten erinnert. Neben dem Blyde River Canyon gibt es in der Gegend noch eine Reihe anderer landschaftlicher Leckerbissen zu bewundern, wie z.B. "The Pinnacle", eine freistehende Granitsäule, die aus einer bewaldeten Schlucht herausragt. Oder "God`s Window", von wo aus der Blick über das mehr als 1000 m tiefere Lowfeld bis hinüber nach Mocambique reicht, sowie einige herrliche Wasserfälle.
Über Nelspruit erreiche ich das südliche Ende des Kruger National Park. Der Versuch, mit dem Motorrad in den Park zu gelangen, schlägt wie erwartet fehl. Mit den Händen demonstriert mir der Wärter am Malelane Gate die Grösse des Maules eines ausgewachsenen Löwen und einen gerade vorbeifahrenden Overlandertruck vergleicht er eindrucksvoll mit dem mächtigen Körper eines Elefantenbullen. Beide, Löwe wie Elefant, seien auf Motorräder nicht gut zu sprechen. (Mehr vom Kruger Park unter Safari)
Vorbei an Bananenplantagen erreiche ich die Grenze zum Königreich Swaziland. Nach einer Nacht im Malolotja Nature Reserve bewege ich mich nach Süden in Richtung Mbabane, der Hauptstadt. Das Land senkt sich langsam, es wird heisser und trockener. Über die flächen verstreut überall kleine Hütten in Gruppen zu dreien oder vieren, frei herumlaufendes oder hinter einer Biegung mitten auf der Strasse stehendes Vieh. Und immer wieder Kinder in Schuluniform, die neben der Strasse herumtoben oder querfeldein nach Hause marschieren.
Während eines Tankstopps komme ich mit einem Einheimischen ins Gespräch. Sein ganzer Stolz ist ein altes 125er Suzukimoped. Die Feststellung, dass auch ich auf Suzuki unterwegs bin, ist für ihn Grund genug, mich zu sich nach Hause einzuladen. Vor einer strohbedeckten Lehmhütte stellt er mir seine Kinder vor und bittet mich, sie einzeln und in Gruppe zu fotografieren. Ich verspreche ihm, die Bilder so schnell wie möglich zu schicken. Bis heute halten wir Briefkontakt. Mein neuer Freund lebt in einem Land, das ungefähr so gross ist wie Schleswig Holstein, aber weniger als eine Million Einwohner hat. Etwa die Hälfte der Swazis lebt unterhalb der international definierten Armutsgrenze, fast jeder fünfte ist HIV positiv. Und dennoch, keine Spur von Resignation. Die Leute wirken friedlich, freundlich und selbstbewusst. Ich bin der einzige Weisse im lebhaften Strassengewimmel und im Gegensatz zu anderen schwarzafrikanischen Ländern, auch in den Städten nicht die geringste Strassenkriminalität.
Wieder in Südafrika überfahre ich beinahe ein sich mitten in einer Kurve sonnendes Krokodil. Blitzschnell verschwindet das aufgescheuchte, ca. 1,5 m lange Reptil in den Büschen. Ich weiss nicht wer mehr erschrocken ist, ich oder das Tier. Mit Richard, dem Chef des African Tale Backpackers, geht`s im Hluhluwe-Umfolozi Park auf Safari. Zum Schutz der fast ausgerotteten Breitmaulnashörner entstand vor über hundert Jahren dieses älteste grosse Tierresevat Afrikas. Heute leben hier wieder mehr als 1300 der bis zu drei Tonnen schweren Kolosse.
Am Ufer des Hluhluwe River lädt Richard zum Picknick. Ich und die drei anderen Safarigäste starren ihn ungläubig an, als er in aller Ruhe eine Decke auf dem Boden ausbreitet. Unmittelbar zuvor fuhren wir an einem Löwenrudel, Nashörnern und Kaffernbüffel vorbei, von den im Fluss lebenden Krokodilen und Hippos ganz zu schweigen. Mit zittrigen Händen versuchen wir unseren Hunger zu stillen, wobei jeder eine andere Richtung im Auge behält. Nur einer bleibt völlig cool und gönnt sich sogar noch einen halbstündigen Mittagsschlaf - Richard. Wir nennen ihn ab sofort "Crocodil Dundee".
Wegen erneut schlechtem Wetter fahre ich zügig auf geradem Weg durch die Transkei. In Umtata beziehe ich ein Zimmer und stürze mich zu Fuss ins chaotisch wirkende Stadtgetümmel. Hier scheint sich das Leben wirklich noch auf der Strasse abzuspielen. Von neugierigen Blicken begleitet, dränge ich mich durch die Menschenmassen und stelle fest, dass ich wieder der einzige Weisse zu sein scheine. Allerdings kommt mir die Atmosphäre ungleich explosiver vor als noch in Swaziland. Zurück im Zimmer lese ich im Reisehandbuch, dass Umtata die landesweit zweithöchste Kriminalitätsrate nach Johannesburg haben soll. Um meinen Schutzengel nicht zu überfordern, beschliesse ich, mich von nun an "vorher" schlau zu machen.
Ab Port Elizabeth scheint mir der Wettergott wieder wohl gesonnen. Ich miete ein Auto und fahre damit in den Addo Elephant Park. Wie der Name vermuten lässt, ist in dem relativ kleinen Park eine aussergewöhnlich hohe Elefantendichte zu bewundern. Normalerweise! Von den knapp 30 Zebras sehe ich mehr als die Hälfte, von den 250 Rüsseltieren hingegen kein einziges.
Entlang der Garden Route, einem der bekanntesten Küstenabschnitte weltweit, brandet der Indische Ozean blaugrün an malerische Buchten und weisse, menschenleere Sandstrände. Darüber strahlt das tiefe Blau des afrikanischen Himmels, einfach traumhaft. In Mossel Bay komme ich in den Genuss eines Straussensteaks. Hätte nie gedacht, dass diese Riesenvögel so hervorragend schmecken. Am Kap Agulhas wird deutlich, dass Kapstadt nicht mehr fern ist. Ganze Horden "Pauschalis" werden mit Komfortreisebussen ans südlichste Ende Afrikas gekarrt.
Bei Gansbay lege ich eine astreine Vollbremsung auf den Asphalt. Mein Puls schnellt in die Höhe, die Hände zittern, der Atem stockt. Ich kann einfach nicht glauben, was sich da vor meinen Augen abspielt. Wale! Echte, lebendige Wale! Nicht zwei, nicht drei, nein, ein ganzes Dutzend tummelt sich vor mir im kühlen Nass des Ozeans. Es handelt sich um südliche Glattwale, in Grösse und Form vergleichbar mit dem bekannteren Buckelwal. Einige springen mit ihrem mächtigen Körper aus dem Wasser, um gleich danach in einer riesigen Fontäne wieder einzutauchen. Die anderen lassen sich mit ihren Jungen bis ganz nah an die Küste treiben. Ich vergesse Raum und Zeit, so sehr ziehen mich diese majestätischen Tiere in ihren Bann.
Für viele gilt Kapstadt als eine der schönsten Städte der Welt. Zumindest was ihre traumhafte Lage am Fusse des Tafelberges betrifft, kann ich dem zustimmen. Doch viel mehr als die Stadt interessiert mich ihre Umgebung. Der Kirstenbosch Botanical Garden, das Weingut Groot Constantia, eine Pinguinkolonie bei Simons Town, herrliche weisse Sandstrände, das Kap der Guten Hoffnung und Kurvenschwingen auf dem berühmten Chapmans Peak Drive sind nur wenige der vielen Highlights auf der Kaphalbinsel.
Die fälligen Servicearbeiten erledige ich in Charlys Bikeshop, dem Treffpunkt durch Afrika reisender Motorradfahrer schlechthin. Wolfgang, der Besitzer dieser rustikalen Werkstatt, breitet seine Fotoalben aus, in denen sich in den letzten Jahren unzählige, darunter auch namhafte Afrikareisende mit Bild und Text verewigt haben. Die teils abenteuerlichen Geschichten beflügeln meine Reiselust, ich kann es kaum erwarten in Richtung Namibia aufzubrechen. Doch vorher nehme ich noch am "Toy Run" teil, einem Bikertreffen vor den Toren Kapstadts. Als Eintrittskarte muss jeder ein Spielzeug mitbringen, welche später an kranke und arme Kinder verteilt werden. Obwohl 5500 Motorräder gezählt werden, scheint meines das einzige mit ausländischem Nummernschild zu sein.
Nach einer Woche Grossstadt geniesse ich die erholsame Stille in den Cederbergen. Je weiter ich nach Norden gelange, umso trockener und vegetationsloser wird die Landschaft. Kurz vor Kenhardt besichtige ich einen Köcherbaumwald, bei dem ich das Wort "Wald" für reichlich übertrieben halte. Bei den Augrabies Fällen lerne ich Michael aus Norddeutschland kennen, der auf einer BMW 100 GS unterwegs ist. Gemeinsam fahren wir nach Namibia.